UN-Dekade Biologische Vielfalt

Sonderwettbewerb Soziale Natur - Natur für Alle

Ausgezeichnet wurde das Projekt "Inseln des Lebendigen" auf dem Gelände von Haus Mariengrund. Aus einer großen, fast monotonen Grünfläche entwickeln sich immer mehr unterschiedliche Lebens- und Erfahrungsräume. Manchmal mit unserer Hilfe, manchmal aus eigener Kraft und Gelegenheit. Das Gelände rund um das Haus Mariengrund ist frei begehbar (zumeist barrierefrei) und ein Beispiel für einen erlebbaren Zugang zu Themen der biologischen Vielfalt. Der beschilderte Pfad "Ein Weg zur Artenvielfalt" vermittelt Wissen und gibt Impulse, die zum Handeln anregen. Das Projekt wurde am 5.11.2020 von der UN-Dekade für Biologische Vielfalt ausgezeichnet.

 

Ein tolles Projekt, das viele Gruppen anspricht, den Kontakt zu Tieren und die Verantwortung für unsere Mitgeschöpfe vermittelt.

Dr. Josef Tumbrinck, Bundesumweltministerium

Videobotschaft von Dr. Josef Tumbrinck, BMU

Das ITZ mit seinen „Inseln des Lebendigen“ hat ein gewisses Alleinstellungsmerkmal mit seinem Engagement. Für mich persönlich ist sein Anliegen auch eine Oase inmitten der Institution Kirche, die mir in einer schlimmen Agonie in Bezug auf dieses Thema gefangen scheint.

Hans Scholten, Jurymitglied UN-Dekade Biologische Vielfalt

Laudatio von Hans Scholten

Mit zwei Gedanken möchte ich etwas zu der heutigen Auszeichnung beitragen: Die UN-Dekade und die Besonderheiten dieser Auszeichnung.

Was ist die UN-Dekade Biologische Vielfalt?

Die Vereinten Nationen haben die Jahre 2011 bis 2020 zur UN Dekade für die biologische Vielfalt erklärt. Mit diesem dringlichen Weckruf appelliert die Staatengemeinschaft an die Weltöffentlichkeit  sich für die biologische Vielfalt einzusetzen. Hintergrund ist der katastrophale Rückgang an Biodiversität in fast allen Ländern der Erde. Die Dekade soll die Bedeutung der Biodiversität für unser Leben bewusst machen und zum Handeln anstoßen.

Was bedeutet die UN-Dekade für Deutschland?

In Deutschland wird der Auftrag der UN Dekade von und in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium und dem Bundesamt für Naturschutz umgesetzt. Zentrales Instrument der deutschen UN-Dekade-Aktivitäten ist der Wettbewerb. Projekte werden ausgezeichnet die sich in besonderer Weise für die Erhaltung, Nutzung oder Vermittlung der biologischen Vielfalt einsetzen. Die Auswahl der Projekte trifft eine Fachjury, der ich seit acht Jahren angehöre. Ziel ist es, gute Beispiele herauszustellen, diese öffentlich bekannt zu machen und Menschen anzuregen, eigene Projektideen zu entwickeln. Im Mittelpunkt des Wettbewerbs steht immer ein Schwerpunktthema, das alle zwei Jahre wechselt. In diesem und im letzten Jahr waren die Insekten und ihr rasanter Rückgang in unserer Umwelt im Fokus.

Das Sonderprogramm „Soziale Natur – Natur für alle“

Naturschutz war lange Zeit eine Domäne des Bildungsbürgertums. Zur Teilhabegerechtigkeit gehört aber auch, dass die Natur für alle als Raum für Begegnung, Erholung und Erlebnis erlebt wird. Mit dem Sonderwettbewerb „Soziale Natur - Natur für alle“ möchte die UN-Dekade die Aufmerksamkeit auf die vielfältigen Möglichkeiten lenken, welche die Natur für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft bietet. Der Wettbewerb macht bestehendes Engagement bekannt und will zu neuen Projekten motivieren. Besonders in diesem Coronajahr, in dem wir alle zeitweise eingesperrt waren, ist die Bedeutung von Parks, Zoologischen Gärten, Wald, Naturerlebnisräumen im Wohnviertel für Jung und Alt besonders bedeutsam geworden. Menschen entdeckten die Natur, die ansonsten eher naturfern leben. In meiner heutigen Heimatstadt Neuss habe ich erlebt, wie hungrig die Menschen nach Natur waren, als sie wegen des Coronavirus‘ zuhause bleiben mussten. Die Parks waren voll von Familien mit ihren Kindern, Pärchen, jungen und alten Spaziergängern, die ansonsten weniger in der Natur zu sehen waren.

Neben dieser psychosozialen Nutzung von Natur, „weil einem die Decke auf den Kopf fällt“, bedarf es aber auch der tieferen Einsicht über unser Eingebunden-sein und unsere wechselseitige Abhängigkeit im großartigen und empfindsamen Mobile der Schöpfung.

Hier ist eine der Kernaufgaben des ITZ. Der biologische, anthropologische, wie auch der spirituelle Transfer, die wissenschaftliche wie auch erfahrungsbasierte Vermittlung an verschiedene Zielgruppen von Lernenden und Lehrenden. Das Bündnis mit dem Bildungshaus Mariengrund und die Vernetzung mit verschiedenen Kooperationspartnern bilden einen ausgezeichneten Background und Verstärker für die meines Erachtens wichtigste Botschaft des ITZ: Die Ehrfurcht vor dem Leben in der solidarischen Geschwisterschaft mit allem, was lebt.

In den über 850 Projekten im Zeitraum von 2015 bis 2020 gab es viele Aktivitäten, die sich engagiert mit dem Naturschutz auseinandergesetzt haben. Sie waren für die Jury und für mich Dokumente von dem idealistischen Leitspruch Stefan Zweigs: „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“

Sehr selten hatten die Projekte den direkten (wie das ITZ) oder indirekten (Kindergärten, Heime, Kirchengemeinden…) konzeptionellen Brückenschlag zur spirituellen und interreligiösen Dimension. Insofern hat das ITZ mit seinen „Inseln des Lebendigen“ ein gewisses Alleinstellungsmerkmal mit seinem Engagement. Für mich persönlich ist sein Anliegen auch eine Oase inmitten der Institution Kirche, die mir in einer schlimmen Agonie in Bezug auf dieses Thema gefangen scheint. Die soziale und die ökologische Herausforderung gälte es zwingend und überlebenswichtig zu bewältigen – so Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Lautato si“ .Wie leise ist die von mir erhoffte Stimme meiner Kirche in Deutschland in der Anwaltschaft dieser Menschheitsaufgabe. Sie alle sind Zeuge von dem Drama was sich in der uns anvertrauten Natur vollzieht. Unsere Erde brennt (Amazonas, Kalifornien, in unseren Wäldern fehlt oft nur ein Funke…) und unser Planet stöhnt, ja schreit, wie es Papst Franziskus formuliert. Wir erleben auch alle, dass der Kampf gegen die immer spürbarere Klimakrise nicht halb so beherzt aufgenommen wird, wie der momentane Kampf gegen das Coronavirus. Dabei ist diese Pandemie ja geradezu das Menetekel an der Wand, welches uns zum radikalen Umdenken in unserem Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten zwingen sollte und unsere hemmungslose Ausbeutung anklagt.

Die große Politik braucht das Engagement der vielen kleinen Leute vor Ort – so wie hier im ITZ und im Haus Mariengrund. Die Klimakrise hat keine Temperaturregler und diskutiert auch nicht mit uns. Aber unsere Kinder und Enkel haben ein Anrecht auf einen lebenswerten Planeten, „den wir von ihnen nur geliehen haben“.

Uns bleibt es Oasen zu schaffen, wo wir können (im Vorgarten, im Garten an den Ackerrändern usw. und kleine Archen Noahs zu bauen, um „Inseln der Vielfalt“ von allem
für alle zu schaffen. Hier geschieht dies! Viel hat sich in der Kooperation hier vor Ort getan.
(Der Name „HAUS“ Mariengrund ist fast eine Untertreibung –besser wäre es an einen Namen zu denken, der die Eigenschaften dieses Natur- und Schöpfungserlebnisortes besser an die Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Kurse hier transportiert.)

Die Jury der UN Dekade war der einhelligen Meinung, dass dieses Projekt die Auszeichnung verdient hat. Deshalb ist es mir eine Ehre und Freude, Ihnen allen vom Team des ITZ und dem Haus Mariengrund, dem Kuratorium und den Freunden und Förderern diese Auszeichnung zu überbringen.

Ich gratuliere von Herzen und wünsche alles Gute und Segen für die Zukunft.

Hans Scholten

Zum Autor

Hans Scholten ist Diplom-Sozialpädagoge, Geschäftsführer der Katholischen Stiftung für Erziehungshilfe in Köln und langjähriges Mitglied des ITZ-Kuratoriums. Als Direktor des Jugendhilfezentrums Raphaelshaus in Dormagen (1987 bis 2007) initiierte er gemeinsam mit dem Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) Mainz verschiedene Forschungsprojekte unter besonderer Berücksichtigung der tierpädagogischen Angebote. Die Ergebnisse wurden zu einer wichtigen Grundlage für die Jugendhilfe mit besonders schwierigen Mädchen und Jungen. 2020 wurde er für seine naturschutz- und erlebnispädagogischen Aktivitäten und Evaluationen, seine tierpädagogischen Forschungen und seine postulierte Pädagogik zum bürgerschaftlichen Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Hans Scholten ist seit 2012 Mitglied der Jury der UN-Dekade Biologische Vielfalt.

 

Uns verbindet mit dem ITZ der Bildungsauftrag für eine sozial-ökologische Zukunft, der Tier- und Umweltschutz und damit verbundene theologische Fragen. Wir freuen uns sehr, dass die „Inseln des Lebendigen“ mit dem neuen Impulspfad am Haus Mariengrund „Ein Weg zur Artenvielfalt“ die Anerkennung der UN-Dekade erfahren.

Dr. Angelika Musella, Vorstand der Musella-Stiftung und Projektpartnerin

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